Rückblick: Futuro D. Überlebensglück – Orientierung und Überlebensstrategien von Kriegskindern

Das Schweigen über das Leid der Kriegskinder brechen, dass ist das Motto der seit 2016 stattfindenden Veranstaltung der AEWB in Kooperation mit der Ev. Erwachsenenbildung Niedersachsen und dem Zentrum für Erwachsenenbildung Stephansstift. Diesmal konnte Prof. Dr. Oskar Negt als Gast begrüßt werden.

v. l.: Prof. Dr. Gerhard Wegner, Prof. Dr. Oskar Negt, Prof. Dr. Christine Morgenroth

Flucht und Vertreibung im Krieg standen im Mittelpunkt. Wie können Menschen mit großer Verletzung weiterleben und wie beeinflusst ihr Schicksal das Leben ihrer Kinder und Enkel. 2016 hat Prof. Dr. Oskar Negt in seinem Buch „Überlebensglück“ seine Fluchterfahrungen aufgeschrieben. Er nimmt uns darin mit in die Zeit des Kriegsendes, als er als 10-Jähriger mit seinen beiden älteren Schwestern während ihrer Flucht über Monate von seinen Eltern getrennt war. Negt schreibt:

„Wer die Grunderfahrung von Flucht und Vertreibung einmal gemacht hat, der arbeitet ein Leben lang an dem Problem der Ich-Findung und Orientierungs-sicherheit, denn das Erste, was ein Flüchtlingsdasein bewirkt, ist die Zerstörung verlässlicher Orientierung“

Wie ist es Kriegskindern geglückt, trotz – zum Teil – traumatischer Erfahrungen – ein gelungenes Leben zu führen? Oskar Negt skizziert, dass das Erleben einer glücklichen Kindheit wesentliche Kraftquelle war. Die Stärkung durch die Eltern und Geschwister verliehen ihm „Bodenhaftung“. Auf der Flucht gaben die verlässlichen Bindungen an seine beiden Schwestern Halt und Zuversicht. Sie stabilisierten ihn seelisch und waren insgesamt sein Überlebensglück. Er konnte mit seinem Grundvertrauen in diese Menschen sein weiteres Leben ohne tiefe seelische Narben und Alpträume leben.

Von ganz anderen Schicksalen berichtete Prof. Dr. Christine Morgenroth in ihrem Beitrag „Kriegskindheit – generationsübergreifende Weitergabe“. Sie schilderte, dass die traumatisierenden Erlebnisse tabuisiert werden und sie Konfliktpotentiale für die nächsten Generationen bergen. Die Auswirkungen würden sich in der Regel in vielfältige Beziehungsstörungen und Bindungsproblemen der nächsten Generation zeigen, ausgelöst durch die mangelnde Verbundenheit und Schwingungsfähigkeit (Resonanz) ihrer traumatisierten Eltern bzw. Großeltern. Traumatisierte Eltern machten ihre Kinder unbewusst zu „Gedächtniskerzen“ ihres erlittenen und verdrängten Schicksals.

Nur im Blick aus der Mehrgenerationenperspektive könnten diese „Gedächtniskerzen“ in Therapien bei den Kindern und Enkeln aufgedeckt werden. Die geschichtlichen Hintergründe der Persönlichkeit sollten in der Öffentlichkeit stärker ins Bewusstsein kommen, damit sie als Traumata der Kriegskindergeneration als gesellschaftliches Thema verstanden werden.

Prof. Dr. Christine Morgenroth ermutigte die Anwesenden und Einrichtungen der Erwachsenen- und Weiterbildung, dass Thema Kriegskindheit beherzt aufzugreifen und in ihren Veranstaltungen Raum für Gespräche über diese Erfahrungen zu geben. Wichtig für den gemeinsamen Lernprozess sei: Zuhören, reden und weinen lassen und behutsam nachfragen.

Dr. Albrecht Schack stellte das Seminar „Was hat der Krieg mit mir gemacht? Für Menschen aus der Generation der Kriegskinder“ vor. Gemeinsam mit vier weiteren Zeitzeugen der Generation über 80 Jahren hat er in diesem Jahr ein Seminarkonzept erarbeitet und in der evangelischen Heimvolkshochschule in Hermannsburg durchgeführt. Zielführende Leitfragen haben sich als Gesprächsimpulse hilfreich zur Gesprächsanregung in der Erwachsenenbildung erwiesen.

Mehr als 60 Teilnehmende und die Vertreter/innen der drei einladenden Träger der Erwachsenenbildung waren tief berührt von den geschilderten Erfahrungen und Impulsen.

Die AEWB setzt 2018 das Thema fort. Die Zahl der Kooperationspartner wird sich vergrößern.

Erste Verabredungen zu weiteren Veranstaltungen in dem nächsten Jahr sind bereit während dieser Veranstaltung getroffen worden.

Die Erwachsenenbildung in Niedersachsen leistet ihren Beitrag, das Thema Kriegserlebnisse in die Öffentlichkeit zu bringen. Statt Vergessen und Schweigen sollen geeignete Bildungs-angebote das Reden und Erinnern fördern.