Thermomix oder Hospiz?

Salon für Erwachsenenbildung am 12.01.17 zum Thema „Wie frei ist die öffentliche Erwachsenenbildung? Akteure zwischen Gestaltung und Steuerung“ zu Gast im Bildungswerk ver.di

Die Gesprächsrunde beim Salon für Erwachsenenbildung am 12.01.2017 im Bildungswerk ver.di zum Thema „Wie frei ist die öffentliche Erwachsenenbildung? Akteure zwischen Gestaltung und Steuerung“ (v. l. n. r.): Lena Heidemann (Moderation), Prof. Dr. Wolfgang Seitter, Carl-Bertil Schwabe, Berbel Unruh, Dr. Jörg Matzen

Gibt es die freie Erwachsenenbildung noch? Diese provokante Frage wurde beim 15. Salon für Erwachsenenbildung von Vertreter/-innen aus Wissenschaft, Politik und Praxis diskutiert. Nach Grußworten von Frau Prof. Dr. Steffi Robak (Leibniz Universität Hannover) und Herr Jürgen Sattari (Bildungswerk ver.di Niedersachsen e.V., Stellv. Vorsitzender des NBEB) nahm Herr Prof. Dr. Wolfgang Seitter (Philipps Universität Marburg) diese Sorge zum Anlass nach einem impliziten Verständnis der freien Erwachsenenbildung in Niedersachsen aus Sicht eines Hessen zu fragen. In seinem Impulsvortrag „‘Freiheit‘ im Mehrebenensystem der öffentlichen Erwachsenenbildung“ stellte er vergleichende historische Bezüge zur (bildungspolitischen) Entwicklung derselben von den 1920er (Freies Volksbildungswesen) über die 1970er (Freie Träger) bis in die 2000er (Optionsvielfalt als Freiheit) her. Die Freiheit der Erwachsenenbildung bewege sich in einem Spannungsfeld verschiedener systemischer Faktoren. Die Differenzierung freier und unfreier Erwachsenenbildung sei schwierig und auch die empirische Verknüpfung keineswegs eindeutig. Es sei die Aufgabe der Erwachsenenbildungseinrichtungen sich über die eigene zukünftige Entwicklung in der Optionsvielfalt bzw. dem Optionszwang in diesem Spannungsfeld zu machen.

Herr Dr. Jörg Matzen (Vorsitzender nds. Landesverband der Heimvolkshochschulen e. V., Leiter Evangelisches Bildungszentrum Bad Bederkesa e. V.) leitete inhaltlich über in die Diskussions- und Gesprächsrunde. Über das humboldtsche Bildungsverständnis führte er den unmittelbaren Bezug von Freiheit und Bildung aufeinander an. Die Auswirkungen von Bildung auf den (mündigen) Staatsbürger und infolgedessen eine stabile Demokratie seien nicht von der Hand zu weisen. Er warf die Fragen auf wer für wen mit welcher Legitimation Bildungsbedarfe erfülle und schlug den Bogen zum gestiegenen Ökonomisierungsdruck der Erwachsenenbildungseinrichtungen durch faktisch gesunkene finanzielle Landesförderung. So komme es in der Praxis zu der Freiheit/dem Zwang der Entscheidung um die Frage, ob bei der Vermietung von Veranstaltungsräume zahlungskräftigen Kunden aus ökonomischen Gründen Vorrang gegeben werden sollte oder das eigene Leitbild und Bildungsverständnis in der öffentlichen Erwachsenenbildung einer nicht gewinnorientierten Anfrage Vorrechte einräumen –Thermomix- oder Hospizveranstaltung?

Auf diese inhaltlichen Impulse folgte eine lebendige Gesprächsrunde an der sich auch das Publikum beteiligte. In der Diskussion wurden neben begrifflichen Aspekten (Was ist freie Erwachsenenbildung?) über den momentanen Freiheitsgrad der öffentlichen Erwachsenenbildung auch die Auswirkungen auf die praktische Arbeit vor Ort erörtert. Die Teilnehmenden argumentierten inhaltlich breit beispielsweise für und gegen eine Novellierung des Niedersächsischen Erwachsenenbildungsgesetzes (NEBG), die gängige Quersubventionierung der Programmbereiche, den steigenden Stellenwert von Verwertungslogiken in der Programmplanung, die Notwendigkeit eines stetigen Dialogs zwischen Akteur/-innen aus der Praxis, Wissenschaft und Politik, die Frage in welchen Zwängen sich die Erwachsenenbildung bewegt und sie selbst ein Teil des kritisierten Systems sei.

Bitte merken Sie sich die nächsten Termine vor:

Salon für Erwachsenenbildung am 11.05.2017: „Warum lebenslang lernen? Erkenntnisse des Nationalen Bildungspanels und ihre Bedeutung für die Erwachsenenbildung, Hannover

Salon für Erwachsenenbildung am 15.06.2017: „Was heißt inklusiv?“, Braunschweig.